Mit Herz und Nächstenliebe: Eine Familienzusammenführung zeigt die wichtige Arbeit der Flüchtlings- und Integrationsberatung
Ende September hat die Bayerische Staatsregierung die Richtlinie für die Förderung der sozialen Beratung, Betreuung und Integration von Menschen mit Migrationshintergrund verabschiedet, die dramatische Stellenkürzungen zur Folge hat. Im Vorfeld hatten die Wohlfahrtsverbände an die Regierung appelliert, die Förderung finanziell besser auszustatten, denn: „Unsere Arbeit in diesem Bereich ist unerlässlich für die erfolgreiche Integration der geflüchteten Menschen und letztlich für unsere Gesellschaft“, erklärt Fred Schäfer, Abteilungsleiter Soziale Dienste bei der Diakonie Bamberg-Forchheim. „Die Angebote der Flüchtlings- und Integrationsberatung werden in der Fläche nicht zu halten sein“, befürchtet er. Die Begleitung Geflüchteter beginnt mit der Verfahrensberatung, dem Erlernen der Sprache, und setzt sich über die Gesundheitsvorsorge bis hin zur Suche nach Arbeit, Wohnung und Kinderbetreuung fort. Diese komplexen Beratungsleistungen erfordern ein umfassendes Beratungswissen, Zeit, Kontinuität in der Begleitung und adäquate Rahmenbedingungen. „Die ersten drei sind dank unserer hochengagierten Mitarbeitenden vorhanden, beim Letzteren sind wir auf die politische und finanzielle Unterstützung des Staates angewiesen“, so der Abteilungsleiter.
Ein Bericht, der nachzeichnet, was die Mitarbeitenden in der Flüchtlingsarbeit für die geflüchteten Menschen und deren Integration bei uns leisten, der aber auch vor Augen führt, wie unerlässlich die Beratung und Begleitung Geflüchteter ist.
Almaz war lange unterwegs und hatte unaussprechliches Leid durchlebt, als die Äthiopierin im August 2016 endlich Deutschland erreichte. Die Mutter von vier Kindern hatte sich alleine auf den Weg gemacht. „Viele fragen, wie denn eine Mutter ihre Kinder zurücklassen könne“, berichtet Carolin Koch, die für die Diakonie Bamberg-Forchheim als Flüchtlings- und Integrationsberaterin in der Gemeinschaftsunterkunft in Höchstadt a.A. arbeitet. Doch für Almaz galt es zunächst, sich selbst vor lebensbedrohenden Umständen in ihrem Heimatland in Sicherheit zu bringen. „Sie war zwangsverheiratet und weitere Gründe für ihre Flucht waren so schwerwiegend, dass sie im Juli 2017 als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt wurde. Ab jetzt war es für Almaz erst möglich, darum zu kämpfen, ihre Kinder nachholen zu dürfen.“
Seit Februar 2017 lebt die Äthiopierin – nach einer Zwischenstation in der zentralen Aufnahmeeinrichtung in Zirndorf – in der Gemeinschaftsunterkunft in Höchstadt an der Aisch und Carolin Koch ist ihre Ansprechpartnerin vor Ort. „Almaz stand damals fast jeden Tag vor meinem Büro, konnte kein Deutsch und war verzweifelt.“ Zunächst kümmerte sie sich um eine Unterstützung im Alltag, aber auch die dringend notwendige medizinische Versorgung der afrikanischen Frau. Mit der Anerkennung begann dann der lange bürokratische Weg, um Almaz und ihre Kinder wieder zu vereinen.
Kinder ohne Geburtsurkunde
„Unser größtes Problem: Wer unterstützt die vier Kinder im Herkunftsland?“ Der Vater hatte sich von Almaz und den gemeinsamen Kindern losgesagt. Bis 2018 konnte sich Almaz‘ Mutter um die Vier kümmern und Almaz konnte so Kontakt zu ihnen halten. Dann starb die Mutter: „Für Almaz ein weiterer Schicksalsschlag, den sie zu verkraften hatte.“ Die Kinder besaßen weder Geburtsurkunden noch Pässe, „existierten rechtlich gesehen gar nicht“. Wie also sollte man es von Deutschland aus organisieren, die behördlichen Hürden für vier minderjährige Kinder in Äthiopien zu regeln?
„Zum Glück kannte ich aus meiner Arbeit in der GU einen äthiopischen Pfarrer, Pastor Buli Beyene.“ Ihn kontaktierte Carolin Koch, fragte, ob er jemanden aus seiner Kirchengemeinde wisse, der Almaz‘ Kindern vor Ort helfen könne. Eine schwierige Aufgabe, wie sich herausstellte, wohnten die Kinder doch in einem entlegeneren Landstrich mit schlechter Infrastruktur. „Mit Beharrlichkeit und einer Portion Glück und über Bekannte aus der afrikanischen Gemeinde fand sich Esayas.“ Dieser hatte zwar keinen E-Mail-Account, was die Kommunikation mit Deutschland immer wieder vor Herausforderungen stellte. Aber er schaffte es mit Hilfe von Carolin Koch, den Kindern Reisepässe ausstellen zu lassen, „was ein ganzes Jahr dauerte“. Zu allem Überfluss waren in zwei Pässen die Geburtsdaten zunächst falsch. Die Korrektur und Neuausstellung verschlang abermals Zeit.
Bürokratie und DNA-Tests
Nächster Schritt: Visa beantragen. Das hieß für die Kinder, ins rund 400 km entfernte Addis Abeba reisen. Davor organisierte Carolin Koch gemeinsam mit Almaz von Deutschland aus einen Termin mit der Botschaft und Esayas motivierte den Vater mitzukommen, damit er direkt in der Botschaft seine Zustimmung zur Ausreise der Kinder schriftlich geben konnte. E-Mails kreuzten von Deutschland nach Äthiopien und retour. Almaz organisierte 500 Euro, mit denen sie die Reise der Vier mit ihrem Vater und Esayas bezahlte. „Sie musste außerdem per DNA-Test nachweisen, dass sie die leibliche Mutter ist.“ Eine weitere Hürde, die ein halbes Jahr und erneut Geld kostete. Alles ging gut und schließlich waren die Visa für alle vier Kinder ausgestellt für die Zeit von März bis Juni 2020, die vier Tickets sogar dank der „Hans Veit und Johanna Dennert Stiftung“ bezahlt und mit Unterstützung eines Bamberger Reisebüros schon fast gebucht: Dann kam Corona. „Am 10. März hatte ich wegen der Tickets im Reisebüro angerufen; am 13. März kam der Lockdown für Deutschland. Der geplante Flug war abgesagt. Damit war erst einmal alles hinfällig.“ Aufgefangen wurde Almaz während dieser Zeit des Wartens und Bangens immer wieder von Ingrid Galinksky-Bauer, die sich ehrenamtlich bei Höchstadts Helfenden Händen in der Flüchtlingsarbeit engagiert. „Sie war für Almaz da, half ihr, den Alltag in Deutschland zu meistern, Deutsch zu lernen und vor allem nicht aufzugeben.“
Stapelweise Formulare
Aufgegeben hatte auch Carolin Koch nicht. Die Visa der Kinder waren abgelaufen, die Preise von Flugtickets hatten sich in Corona-Zeiten verdoppelt und waren unbezahlbar geworden. Auch der Landesverband der Diakonie Bayern schaltete sich ein und setzte sich mit den Botschaften in Kontakt, um Familienzusammenführungen unter den erschwerten Bedingungen während der Pandemie möglich zu machen. Es gelingt: Die Neuvisierung der Kinder konnte beantragt werden. „Also haben wir wieder einen Stapel Formulare ausgefüllt und an die Botschaft in Addis Abeba geschickt.“ Doch im Juli stand Almaz aufgelöst vor Carolin Kochs Büro: Der Termin zur Neuvisierung der Kinder in der Botschaft sei schiefgegangen. Angeblich seien nötige Unterlagen nicht vorhanden, eine Neuvisierung nicht möglich. Trotz Telefonaten von Carolin Koch mit Botschaftsmitarbeitenden in Äthiopien mussten die Kinder mit Esayas wieder in ihr Heimatdorf zurückfahren. Carolin Koch ließ aber nicht locker: Über ein Ticketsystem buchte die Flüchtlings- und Integrationsberaterin von Deutschland aus einen neuen Termin in der Botschaft. Und so kommt es im August zur dritten Reise der Kinder in die äthiopische Hauptstadt – immer noch begleitet von Esayas, der die Kinder zuverlässig unterstützt. Es gelingt: Vier neue Visa werden ausgestellt, gültig von September bis November 2020. Schnell organisiert Carolin Koch Flüge, die das Budget nicht sprengen, immer wieder prüft sie, ob alle Unterlagen und offiziellen Dokumente für die Ausreise der Kinder vorliegen, organisiert die Fahrt von Almaz zum Frankfurter Flughafen und dort einen Corona-Test und klärt, wo die Familie in Quarantäne gehen kann. „Dann reisten Almaz‘ Kinder ein letztes Mal mit Esayas nach Addis Abeba – das dachten wir jedenfalls.“
Kein Durchkommen in Addis Abeba
Am Tag vor der Ankunft der Vier in Deutschland erfährt Carolin Koch kurz vor einer Team-Besprechung von der verzweifelten Helferin Ingrid Galinsky-Bauer: Die Kinder seien wieder in ihren Heimatort zurückgekehrt. Man hätte sie nicht zum Flughafen durchgelassen. Carolin Koch kann es zunächst nicht fassen: „Seit 2017 kämpfen wir mit Almaz, dass sie ihre Kinder zu sich holen kann. Und so kurz vor knapp sollten alle Anstrengungen vergebens gewesen sein?“ Sie ist froh, dass sie sich in dieser Situation mit ihren Kolleginnen sowie ihrem Vorgesetzten beraten kann. „Alle haben ihre Erfahrungen eingebracht, ihre Kontakte genutzt – und es hat funktioniert.“ Über die Evangelische Kirche in Addis Abeba konnten sie den Kontakt zu einer Frau herstellen, die ohne die Kinder, Almaz oder Esayas zu kennen, sofort bereit war, den Kindern zu helfen, doch noch den Flug zu erreichen. Carolin Koch gelang es über die Kindsmutter, auch Esayas noch einmal zu überzeugen, den vier Kindern ein letztes Mal zur Seite zu stehen. Er fährt wieder mit ihnen los in Richtung Addis Abeba. Ca. 80 km vor der Stadt nimmt sie ein Taxifahrer in Empfang, den die hilfreiche Frau aus der Evangelischen Kirchengemeinde organisiert und instruiert hat. Er chauffiert die Fünf tatsächlich zum Flughafen, wo Esayas Almaz‘ Kinder schließlich in die Obhut der Fluggesellschaft geben kann. „Ich habe mich so gefreut und es ist ein unglaublicher Druck von mir abgefallen“, erinnert sich Carolin Koch.
Mit Herz und Nächstenliebe
Der Rest der Reise gelingt: Die Kinder landen wohlbehalten in Frankfurt und ihre Mutter Almaz konnte sie endlich nach fast fünf Jahren in die Arme schließen.
„Was mich am meisten an Almaz Geschichte berührt hat und wofür ich unsagbar dankbar bin, sind all die Menschen, die Almaz auf dem langen Weg unterstützt haben – ohne Zögern, einfach mit Herz und Nächstenliebe: Sei es Esayas, der über Jahre hinweg den Kindern geholfen hat. Sei es die Frau aus der Kirchengemeinde aus Addis Abeba, die sich ohne die betroffenen Menschen persönlich zu kennen sich von jetzt auf gleich für sie engagiert hat. Oder Ingrid Galinksky-Bauer, die sich bei uns dafür einsetzt, dass Geflüchtete und Einheimische gut zusammenleben können. Oder meine Kolleginnen und mein Vorgesetzter, die schnell, unkompliziert und mit vollem Einsatz mit uns der Geschichte zu einem guten Ende verholfen haben.“ Ein gutes Ende, das für Almaz und ihre vier Kinder vor allem ein neues Leben in Sicherheit bedeutet.
Foto: Endlich wieder vereint: Für Almaz (links) hat das Warten auf ihre Kinder endlich ein glückliches Ende genommen, auch dank des Einsatzes von Carolin Koch, die sie in der Höchstadter Gemeinschaftsunterkunft als Flüchtlings- und Integrationsberaterin begleitet.